Flüchtlingsdebatte: Kriege schaffen neue Konflikte

10.09.2020/EG
Quelle: Watson Institute for International and Public Affairs at Brown University, Providence, RI/USA

David Vine, Sozialwissenschaftler an der American University in Washington, DC, untersuchte mit seinem Team die Auswirkungen auf die Vertreibung durch militärische Einsätze der USA

„Seit Präsident George W. Bush nach den Anschlägen der „Al Qaida“ vom 11. September 2001 auf die Vereinigten Staaten einen „globalen Krieg gegen den Terror“ ankündigte, ist das US-Militär weltweit im Einsatz. Wie in früheren Konflikten haben die Kriege der Vereinigten Staaten nach dem 11. September 2001 zu massiven Bevölkerungsverschiebungen geführt. Dieser Bericht ist der erste, der umfassend misst, wie viele Menschen durch diese Kriege vertrieben wurden. Unter Verwendung der besten verfügbaren internationalen Daten schätzt dieser Bericht konservativ, dass mindestens 37 Millionen Menschen in den acht gewaltsamsten Kriegen, die das US-Militär seit 2001 begonnen hat oder an denen es sich beteiligt hat, aus ihrer Heimat geflohen sind. (…). Die Vertreibung muss auch im Mittelpunkt jeder möglichen Überlegung über die künftige Anwendung militärischer Gewalt durch die Vereinigten Staaten oder andere stehen. Letztlich stellt sich bei der Vertreibung von 37 Millionen – möglicherweise sogar 59 Millionen – die Frage, wer die Verantwortung für die Behebung der Schäden trägt, die den Vertriebenen zugefügt wurden.“

Erkenntnisse der Untersuchung:

  • „Durch die Kriege der USA nach dem 11. September 2001 wurden mindestens 37 Millionen Menschen in und aus Afghanistan, Irak, Pakistan, Jemen, Somalia, den Philippinen, Libyen und Syrien vertrieben, mehr als durch jeden Krieg seit 1900, mit Ausnahme des Zweiten Weltkriegs.“
  • „Weitere Millionen sind durch andere Konflikte nach dem 11. September vertrieben worden, in denen US-Truppen in kleinere Kampfeinsätze verwickelt waren, darunter in: Burkina Faso, Kamerun, Zentralafrikanische Republik, Tschad, Demokratische Republik Kongo, Mali, Niger, Saudi-Arabien und Tunesien.“
  • „37 Millionen ist eine sehr konservative Schätzung. Die Zahl der durch die Kriege der USA nach dem 11. September 2001 vertriebenen Menschen könnte sich auf 48 bis 59 Millionen belaufen.“
  • „25,3 Millionen Menschen sind nach ihrer Vertreibung zurückgekehrt, obwohl die Rückkehr das Trauma der Vertreibung nicht auslöscht oder bedeutet, dass diese Vertriebenen in ihre ursprüngliche Heimat oder in ein sicheres Leben zurückgekehrt sind.“
  • „Die Menschen, die sich hinter diesen Zahlen verbergen, sind manchmal schwer zu erkennen, und Zahlen können nicht vermitteln, wie es sich anfühlen könnte, sein Zuhause, sein Hab und Gut, seine Gemeinschaft und vieles mehr zu verlieren. Die Vertreibung hat Einzelpersonen, Familien, Städten, Gemeinden, Städten, Regionen und ganzen Ländern unkalkulierbaren Schaden zugefügt – physisch, sozial, emotional und wirtschaftlich.“

Den Bericht lesen Sie hier watson.brown.edu

Zum Thema

Ein Beitrag von Joshua Landis, Geschichtswissenschaftler an der University of Oklahoma, über die exzessiven US-Sanktionen gegen Syrien und deren Wirkung lesen Sie hier ↗infosperber.ch.

Michael Lüders, Politikberater, Publizist und Autor, über die „westliche Politik und die Folgen für Syrien“ sehen Sie hier michael-lueders.de.

Buchtipp: Krise am Golf

22.05.2020/EG

Matin Baraki, Fritz Edlinger (Hg.): Krise am Golf
Hintergründe, Analysen, Berichte

Sachbuch (Golf-Region, Konflikte, Politik)

„Rund um den Persischen Golf, der auch Arabischer Golf genannt wird, verschärfen sich die Konflikte. Mit Saudi-Arabien und dem Iran liegen einander zwei Erzfeinde an jenem Meer gegenüber, das als wichtigster Transportweg der fossilen Energieträger dient. Der Irak ist nach fast 20 Jahren Krieg völlig ausgelaugt, während die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar Bombeneinsätze in anderen arabischen Staaten fliegen.
Neben den regionalen Konfliktparteien agieren globale Mächte, allen voran die USA, die nach den zerstörerischen Interventionen im Irak (1991 bzw. 2003) als Schutzmacht des saudischen Königshauses auftreten. Geopolitisch auf der anderen Seite steht die zerbrechlichere Allianz zwischen dem Iran und Russland. Als weitere „Außenseiter“ haben sich die Türkei und Israel militärisch in Stellung gebracht, während China mit seinem Projekt der „Neuen Seidenstraße“ auch in der Golfregion wirtschaftlich immer stärker auftritt.

Jemen: Ein weiterer Beweis für das Versagen politischer Strukturen

18.09.2019/EG
Quelle: United Nation Human Rights Council (OHCHR), Genf

UN-Gutachten zu den Kriegsverbrechen der zurückliegenden fünf Jahren

„Ein am Dienstag (03.09.) veröffentlichter UN-Bericht über den Jemen beschreibt eine Vielzahl möglicher Kriegsverbrechen, die von verschiedenen Konfliktparteien in den letzten fünf Jahren begangen wurden, unter anderem durch Luftangriffe, willkürliche Bombardierungen, Scharfschützen, Landminen sowie willkürliche Morde und Inhaftierungen, Folter, sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt und die Behinderung des Zugangs zu humanitärer Hilfe inmitten der schlimmsten humanitären Krise der Welt.
(…).
„Fünf Jahre nach dem Konflikt dauern die Verletzungen der jemenitischen Zivilbevölkerung unvermindert an, wobei die Notlage der Menschen völlig außer Acht gelassen wird und es an internationalen Maßnahmen mangelt, um die Konfliktparteien zur Rechenschaft zu ziehen“, sagte Kamel Jendoubi, Vorsitzender der Expertengruppe für Jemen.“ ↗ohchr.org

Zum Thema

„Im Jemen wütet eine der schlimmsten humanitären Krisen weltweit. Mehr als 20 Millionen Jemeniten hungern. (…). Zwei Millionen Kinder gelten als unterernährt, 400.000 als schwerkrank. Mehr als 90.000 Menschen kamen in über vier Jahren Krieg ums Leben, darunter rund 11.500 Zivilisten. (…). Fest steht, dass die Seeblockade durch die Koalition unter saudischer Führung die Lage wesentlich verschärft hat. (…).
Die Waffenexporte verstoßen sowohl gegen das europäische, als auch das internationale Recht. Am 8. Dezember 2008 haben die europäischen Staats- und Regierungschefs den Gemeinsamen Standpunkt 2008/944/GASP unterzeichnet. Darin geht es um die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern. Die EU-Länder legten sich auf acht recht strikte Regeln fest. Seitdem sind Verkäufe unter anderem dann verboten, wenn sie bewaffnete Konflikte auslösen oder verschärfen können. Ebenfalls verboten sind Verkäufe, wenn autoritäre Staaten die Waffen gegen ihre eigene Bevölkerung nutzen, oder dazu, andere Länder anzugreifen oder fremde Gebiete zu besetzen. Erlaubt sind Waffenexporte beispielsweise dann, wenn sie zu „Frieden, Sicherheit und Stabilität in einer Region“ beitragen.
Außerdem hat Frankreich, genau wie Deutschland, den Vertrag über den Waffenhandel der Vereinten Nationen ratifiziert, der am 24. Dezember 1994 in Kraft getreten ist. Darin verpflichten sich die Regierungen dazu, keine Waffen an Staaten zu liefern, wenn diese gegen Zivilisten oder zivile Einrichtungen eingesetzt werden könnten oder zum Begehen von Kriegsverbrechen.“ ↗arte.tv

Gericht zu US-Drohneneinsätze im Jemen: Deutschland muss Völkerrecht beachten

20.03.2019/EG
Quelle: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Münster

Einsätze von der US Air Base Ramstein: Deutschland hat eine Schutzpflicht (bezogen auf die Kläger) und muss daher geeignete Maßnahmen auf die Einhaltung des Völkerrechts ergreifen

„Wegen der wesentlichen Bedeutung der in Deutschland gelegenen Air Base Ramstein für fortdauernde amerikanische Drohneneinsätze auch im Jemen haben die Kläger, die um ihre eigene Sicherheit besorgt sind, die Bundesrepublik Deutschland darauf verklagt, eine Nutzung der Air Base für derartige Einsätze durch geeignete Maßnahmen zu unterbinden. Anders als Anwohner der Air Base, die in der Vergangenheit vergeblich gegen ihre Nutzung für Drohneneinsätze geklagt haben, bewohnen die Kläger ein Gebiet, in dem seit Jahren Menschen durch bewaffnete US-Drohnen gezielt getötet werden. Dabei ist es regelmäßig auch zu zivilen Opfern gekommen, deren Zahlen zwischen offiziellen Stellungnahmen und der Medienberichterstattung erheblich variieren.
(…).
Die Kläger können von der Beklagten lediglich verlangen, dass sie sich auf der Grundlage der rechtlichen Prüfung durch den Senat vergewissert, ob die generelle Praxis der amerikanischen Drohneneinsätze in der Heimatregion der Kläger im Jemen, soweit dabei Einrichtungen in Deutschland genutzt werden, mit dem geltenden Völkerrecht in Einklang steht. Erforderlichenfalls hat die Beklagte durch ihr geeignet erscheinende Maßnahmen auf die Einhaltung des Völkerrechts hinzuwirken.
(…).
Es bestehen gewichtige, der Beklagten bekannte oder jedenfalls offenkundige tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die USA unter Verwendung technischer Einrichtungen auf der Air Base Ramstein und dort stationierten eigenen Personals bewaffnete Drohneneinsätze in der Heimatregion der Kläger im Jemen durchführen, die zumindest teilweise gegen Völkerrecht verstoßen, wodurch die Kläger rechtswidrig in ihrem Recht auf Leben gefährdet werden.“
Der Senat hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen. ↗ovg.nrw.de

Zum Thema

Nach Schätzungen der NGO Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) wurden in dem Zeitraum von Januar 2016 bis November 2018 mehr als 60.223 Menschen durch den Krieg in Jemen getötet. Im Jahr 2018 stieg die Zahl der Kriegsopfer mit 28.182 im Vergleich zum Vorjahr um ganze 68 Prozent – in der umkämpften jemenitischen Hafenstadt Hodeidah, die zugleich das Eingangstor für 70% der Hilfsgüterlieferungen in Jemen ist, kamen 2018 alleine 37 % der zivilen Opfer ums Leben. Ein Großteil starb durch Luftangriffe der von Saudi Arabien angeführten Militärkoalition. Abgesehen von den tödlichen Kriegshandlungen hat auch die von Saudi Arabien durchgesetzte See-, Luft- und Landblockade sowie die systematische Zerstörung der Versorgungsinfrastruktur tödliche Folgen: imi-online.de

Desinformation über den Krieg in Jemen – Medien beschönigen die Rolle der USA und übertreiben den Einfluss des Irans infosperber.ch