Buchtipp: Grundsicherung weiterdenken

21.01.2022/EG

Florian Blank / Claus Schäfer / Dorothee Spannagel (Hg.): Grundsicherung weiterdenken

Sachbuch (Einkommen, Sozialhilfe)

„An der Grundsicherung wird viel Kritik geübt, speziell an »Hartz IV«. Die Beiträger*innen zeigen Perspektiven auf, wie die Grundsicherung weitergedacht werden kann: Das bedeutet, bisherige Grundsicherungsleistungen zu analysieren, zu kritisieren und fortzuentwickeln, auch über den Rahmen des Sozialgesetzbuches hinaus – zu einer erweiterten Grundsicherung für das 21. Jahrhundert. Diskutiert wird dabei, welche Infrastrukturen und Angebote über Einkommenstransfers hinaus für eine Grundversorgung der Bevölkerung und eine inklusive Gesellschaft notwendig sind. Zugleich nimmt der Band die Grundsicherung auf europäischer Ebene in den Blick.“

Autoren

15 Wissenschaftler der Fachgebiete Bildungs-, Gesundheits-, Rechts-, Sozial-, Verwaltungs- und Wirtschaftswissenschaften.

Transcript Verlag, ISBN: 978-3-8394-5594-4, PDF, 00 Euro

Hartz IV: Existenz am Limit

01.09.2020/EG
Quelle: Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband – Gesamtverband, Berlin

Sozialverband untersuchte materielle und soziale „Mangellagen eines Lebens mit Hartz IV“

„Fassen wir die Ergebnisse abschließend zusammen und spitzen wir sie im Lichte der eingangs aufgeführten Maßstäbe noch einmal zu. Aufgabe der Grundsicherung ist nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts die Aufrechterhaltung der physischen Existenz und eines Mindestmaßes an sozialer, politischer und kultureller Teilhabe. Zudem fordern die UN-2030-Ziele eine Politik der Bekämpfung der Armut und der Reduktion sozialer Ungleichheit. Die Befunde zeigen Mängel in all diesen Aspekten. Die typisierten Leistungen der Grundsicherung unterschreiten regelmäßig die Armutsschwelle. Die Grundsicherungsleistungen schützen in den verschiedenen Haushaltskonstellationen nicht vor Armut in dem hier verstandenen Sinne. (…). Der Anteil für die Ernährung bei den Grundsicherungsleistungen reicht nicht aus und führt zu deutlich niedrigeren Standards bei der Ernährung. Sehr viel häufiger geben Grundsicherungsbeziehende an, dass sie aus finanziellen Gründen nicht jeden zweiten Tag eine warme Mahlzeit mit Fleisch, Fisch oder Geflügel konsumieren können. (…). Schließlich zeigen die abschließenden Analysen, dass unter den Hartz-IV-beziehenden Haushalten materielle Unterversorgung weit verbreitet ist. In allen einzelnen Aspekten stehen Haushalte, die auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen sind, deutlich schlechter da als andere Haushalte. Die Defizite offenbaren sich in erheblichen Defiziten bei der finanziellen Lage und bei der sozialen Teilhabe – vom erzwungenen Verzicht auf Urlaub, Mobilität bis zur Gefahr der sozialen Isolation, weil beispielsweise soziale Aktivitäten, wie Freunde zum Essen einzuladen, nicht finanziert werden können.“ (siehe Fazit, Seite 19)
Die Expertise lesen Sie hier der-paritaetische.de.

Buchtipp: Die Elenden

28.08.2020/EG

Anna Mayr: Die Elenden

Sachbuch (Arbeitswelt, Armut)

„Faul. Ungebildet. Desinteressiert. Selber schuld. Als Kind von zwei Langzeitarbeitslosen weiß Anna Mayr, wie falsch solche Vorurteile sind – was sie nicht davor schützte, dass ein Leben auf Hartz IV ein Leben mit Geldsorgen ist und dem Gefühl, nicht dazuzugehören. Früher schämte sie sich, dass ihre Eltern keine Jobs haben. Heute weiß sie, dass unsere Gesellschaft Menschen wie sie braucht: als drohendes Bild des Elends, damit alle anderen wissen, dass sie das Richtige tun, nämlich arbeiten. In ihrem kämpferischen, thesenstarken Buch zeigt Mayr, warum wir die Geschichte der Arbeit neu denken müssen: als Geschichte der Arbeitslosigkeit. Und wie eine Welt aussehen könnte, in der wir die Elenden nicht mehr brauchen, um unseren Leben Sinn zu geben.“

Hartz 4/SGB II: Sanktionen sind verfassungswidrig

05.11.2019/EG
Quelle: Bundesverfassungsgericht, Karlsruhe

Gesetzgeber (Bundesregierung/Bundesrat) muss Pflichtverletzungen neu regeln / Physische und soziokulturelle Existenz muss gesichert werden

„1. Die zentralen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung staatlicher Grundsicherungsleistungen ergeben sich aus der grundrechtlichen Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG). Gesichert werden muss einheitlich die physische und soziokulturelle Existenz. Die den Anspruch fundierende Menschenwürde steht allen zu und geht selbst durch vermeintlich „unwürdiges“ Verhalten nicht verloren. Das Grundgesetz verwehrt es dem Gesetzgeber aber nicht, die Inanspruchnahme existenzsichernder Leistungen an den Nachranggrundsatz zu binden, also nur dann zur Verfügung zu stellen, wenn Menschen ihre Existenz nicht vorrangig selbst sichern können, sondern wirkliche Bedürftigkeit vorliegt.“ bundesverfassungsgericht.de

Zum Thema

Daten zu Leistungskürzungen im Zeitraum Juli 2018 bis Juni 2019 biaj.de.

Ergänzung am 06.11.2019:

Die Regierungsverantwortung im Rückblick:

  • seit März 2018: CDU/CSU/SPD (Koalitionsverhandlungen dauerten 171 Tage)
  • 2013 bis 2017: CDU/CSU/SPD
  • 2009 bis 2013: CDU/CSU/FDP
  • 2005 bis 2009: CDU/CSU/SPD
  • 2002 bis 2005: SPD/DIE GRÜNEN (01.01.2005 Einführung der ALG-II bzw. Hartz-4-Gesetze)
  • 1998 bis 2002: SPD/DIE GRÜNEN
  • 1982 bis 1998: CDU/CSU/FDP
  • 1969 bis 1982: SPD/FDP
  • 1966 bis 1969: CDU/CSU/SPD
  • 1963 bis 1966: CDU/CSU/FDP
  • 1949 bis 1963: CDU/CSU mit wechselnden Koalitionspartnern (FDP/DP/GB/BHE/FVP)

Essener Tafel: Was hat sich seit dem Empörungssturm getan?

04.11.2019/EG
Quelle: Neue Züricher Zeitung (NZZ), Zürich

Anja Stehle, Journalistin, berichtet über ihren Besuch bei der Essener Tafel

„Im Januar 2018 wurde die Lebensmittelhilfe über Nacht zur berühmtesten Sozialeinrichtung Deutschlands. Sie wurde zum Sinnbild für alles, was in diesem Land im sozialen Miteinander schiefzugehen schien, für eine Spaltung in der Gesellschaft in Arm und Reich, in Menschen mit deutschem und mit ausländischem Pass, …“ nzz.ch

Zum Thema

Das Geldvermögen der privaten Haushalte in Deutschland erreichte zum Ende des zweiten Quartals 2019 rund 6,24 Billionen Euro (+ 4,6 % gegenüber II/2018) bundesbank.de

Deutschland 2017: Die reichsten 10 Prozent besitzen 56,1 Prozent am Nettogesamtvermögen, die vermögendsten ein Prozent besitzen etwa 18 Prozent!
„Die Vermögenskonzentration kann auch durch den Anteil am deutschen Gesamtvermögen beschrieben werden. So hatte im Jahr 2017 die untere Hälfte der Bevölkerung ab 17 Jahren einen durchschnittlichen Anteil am Nettogesamtvermögen von 1,3 Prozent. Am oberen Ende der Verteilung halten die reichsten zehn Prozent einen Anteil von 56 Prozent des Gesamtvermögens. Zieht man nur das reichste Prozent heran, so beläuft sich deren Vermögensanteil auf schätzungsweise 18 Prozent. Dies ist ungefähr so viel, wie die ärmsten 75 Prozent der Bevölkerung zusammen an Vermögen halten.
Bei der Interpretation dieser Ergebnisse muss beachtet werden, dass eine bevölkerungsrepräsentative Stichprobe wie das SOEP den Bereich sehr hoher Vermögen tendenziell untererfasst und somit das Ausmaß der tatsächlich in Deutschland vorhandenen Vermögensungleichheit unterschätzt. Vermutlich ist es in den vergangenen zehn Jahren zu einem Anstieg der Vermögensungleichheit gekommen, da die Zahl der Vermögensmillionäre seit 2008 um 69 Prozent oder gut 550.000 Personen zugenommen hat.“ diw.de

Zusammensetzung des Finanz,- Sach- und Immobilienvermögens der privaten Haushalte nach seiner Höhe / „Wie ungleich die Verteilung ist, lässt sich demnach auch am Anteil des Vermögens ablesen, das den oberen 10 % der Nettovermögensverteilung gehört. Diese Gruppe nannte in Deutschland im Jahr 2017 etwa 55 % des gesamten Nettovermögens ihr Eigen.“ bundesbank.de