Tarifeinheitsgesetz weitgehend mit Grundgesetz vereinbar

12.07.2017/EG

Bundesverfassungsgerichts: Regelungen des Tarifeinheitsgesetzes weitgehend mit dem Grundgesetz vereinbar

„Mit heute verkündetem Urteil hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Regelungen des Tarifeinheitsgesetzes weitgehend mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Die Auslegung und Handhabung des Gesetzes muss allerdings der in Art. 9 Abs. 3 GG grundrechtlich geschützten Tarifautonomie Rechnung tragen; über im Einzelnen noch offene Fragen haben die Fachgerichte zu entscheiden. Unvereinbar ist das Gesetz mit der Verfassung nur insoweit, als Vorkehrungen dagegen fehlen, dass die Belange der Angehörigen einzelner Berufsgruppen oder Branchen bei der Verdrängung bestehender Tarifverträge einseitig vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber muss insofern Abhilfe schaffen. Bis zu einer Neuregelung darf ein Tarifvertrag im Fall einer Kollision im Betrieb nur verdrängt werden, wenn plausibel dargelegt ist, dass die Mehrheitsgewerkschaft die Belange der Angehörigen der Minderheitsgewerkschaft ernsthaft und wirksam in ihrem Tarifvertrag berücksichtigt hat. Das Gesetz bleibt mit dieser Maßgabe ansonsten weiterhin anwendbar. Die Neuregelung ist bis zum 31. Dezember 2018 zu treffen.

Die Entscheidung ist teilweise mit Gegenstimmen ergangen; zwei Mitglieder des Senats haben ein Sondervotum abgegeben.“ bundesverfassungsgericht.de

Ilja Schulz, Präsident der Vereinigung Cockpit:

„Der Senat hat die unbegrenzte Verdrängung von Tarifverträgen zu Recht als verfassungswidrig bewertet. Dennoch sind wir von dem Urteil insgesamt enttäuscht, da das Gesetz weiterhin in Kraft bleibt. Kleinere Gewerkschaften bleiben durch das Tarifeinheitsgesetz bedroht. Minderheiten können sich nicht von der Gewerkschaft vertreten lassen, für die sie sich frei entschieden haben. Positiv bewerten wir, dass die Richter das Streikrecht der Minderheitsgewerkschaften ausdrücklich bestätigen und Haftungsrisiken hieraus ausschließen. Erst die Zukunft wird das wahre Ausmaß dieses Gesetzes offenlegen und dann werden sich Viele fragen, wie konnten wir so etwas zulassen?“ vcockpit.de

Claus Weselsky, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL):

„Zumindest ist der Ansatz zur Existenzvernichtung von Berufsgewerkschaften gestoppt worden. Die Frage, ob es in der Praxis jemals eine Einschränkung geben wird und unser Flächentarifvertrag untergeht, gehen wir aktiv an und sind zuversichtlich, dass uns die Fachgerichte auch nicht die Existenzgrundlage absprechen werden.“ ↗gdl.de

Andrea Kocsis, stellvertretende Vorsitzende der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di):

„Zwar ist das Gesetz in Teilen für verfassungswidrig erklärt worden, insofern hat sich unsere Beschwerde gelohnt, die Lösung von Tarifkonflikten überlässt das Gericht aber den Arbeitsgerichten. Uneinheitliche Urteile und unzählige Prozesse drohen zu jahrelanger Rechtsunsicherheit zu führen. Das Trittbrettfahrertum wird zum Nachzeichnungsrecht veredelt (die Vorsitzende befürchtet einen größeren Wettbewerb zwischen den Gewerkschaften). Anstatt Ruhe trägt das Urteil nun Unfrieden in die Betriebe!“ verdi.de

Rudolf Henke, Vorsitzender des Marburger Bundes:

„Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass der Gesetzgeber kein Recht hat, gezielt gegen bestimmte Gewerkschaften vorzugehen und verlangt deshalb weitreichende Schutzvorkehrungen, um auch die Rechte berufsspezifischer Gewerkschaften zu wahren.“ ↗marburger-bund.de