Flüchtlingsdebatte: Grenzwertiges Rechtsverständnis nationaler Regierungen

09.10.2017/EG aus dem Medium VERFASSUNGSBLOG, Berlin

Nula Frei, Rechtswissenschaftlerin, und Constantin Hruschka, Rechtswissenschaftler, über die aktuelle Zusammenarbeit mit Drittstaaten zur Verhinderung ‚illegaler’ Migration

„Bei den aktuell für die Verhinderung der Migration auf der zentralen Mittelmeerroute im Fokus stehenden Staaten, in denen die Schutzsuchenden stattdessen festgehalten werden sollen, ist nicht davon auszugehen, dass sie diese Vorgaben für sichere Drittstaaten erfüllen:

  • Dem Tschad bescheinigt der letzte UN-Bericht aus dem Jahr 2014, dass «Folter allgemein von der Polizei und den Verteidigungs- und Sicherheitskräften eingesetzt wird, die dabei besonders brutale und grausame Methoden benutzen»;
  • In Niger erkennt der letzte UN-Bericht zur Situation von Frauen eine Kultur der Sklaverei („wahaya“) und beklagt gleichzeitig die geringen Strafverfolgungs- und Verurteilungsraten von Menschenhändlern;
  • Libyen wiederum weist derzeit kaum staatliche Strukturen auf. Faktisch kämpfen Milizen um die Vorherrschaft; Opfer der Auseinandersetzungen sind auch Migrantinnen und Migranten, die sich in das Land begeben. Zahlreiche Berichte, der jüngste davon vom UNO-Generalsekretär, belegen, dass Migrierende in Libyen schwerster Arbeits- und sexueller Ausbeutung sowie Misshandlung ausgesetzt sind.

(…)

Rechtlich kann also von einem Völkerrechtsverstoß durch die europäische Finanzierung ausgegangen werden. Auch die praktische Bilanz der bisherigen Politik ist verheerend:
Die Zahl der Schutzsuchenden, die auf dem Weg nach Europa gestorben sind, ist deutlich gestiegen, während die Zahl derjenigen, die in Europa Schutz gefunden haben, deutlich zurückgegangen ist. So wurden in absoluten Zahlen im Jahr 2016 fast zwei Drittel weniger ‚illegale’ Einreisen nach Europa registriert als im Jahr 2015; die Zahl der Asylgesuche in den EU+-Staaten (EU 28 plus Norwegen und Schweiz) ging zwischen dem ersten Halbjahr 2016 und dem ersten Halbjahr 2017 um mehr als die Hälfte zurück, während die Zahl der Flüchtlinge weltweit mit über 17 Millionen auf ein Rekordniveau gestiegen ist. Insgesamt ist also der Anteil der Europäischen Staaten am globalen Flüchtlingsschutz gesunken.“ verfassungsblog.de