Ungleichverteilung von (Lebens-)Zeit

09.07.2018/EG

Markus Pausch, Politikwissenschaftler, zur Herrschaft über die Zeit / TK-Gesundheitsreport 2018: Prekäre Arbeit erhöht Sterblichkeitsrate

Herrschaft über die Zeit

„In einer Demokratie sollten alle Menschen über die Verwendung ihrer Zeit möglichst frei bestimmen. Eine Ausweitung der Arbeitszeiten vergrößert die reale Macht derer, die sozioökonomisch ohnehin die Nase vorn haben. Dadurch entsteht ein weiteres Ungleichgewicht, das der Demokratie schadet.
(…)
Dies alles birgt die Gefahr einer Zwei-Klassen-Demokratie, in der sich die Schere zwischen Arm und Reich nicht nur sozioökonomisch vergrößert, sondern auch in Hinblick auf die Ressource Zeit. In einer solchen Gesellschaft regieren einige wenige über ihre eigene Zeit und über die Zeit vieler anderer. Diese vielen anderen hingegen müssen hinnehmen, dass ihre Lebenszeit als eine ihrer wichtigsten Ressourcen immer weniger von ihnen selbst beherrscht werden kann. awblog.at

Prekäre Arbeit erhöht Sterblichkeitsrate

„Für Beschäftigte mit anfänglicher Berufstätigkeit in Leiharbeit war innerhalb der fünf Jahre (Beobachtungszeitraum 2013 bis 2017) eine im Vergleich zu geschlechts- und altersabhängig erwarteten Werten um 48 Prozent erhöhte Sterblichkeit nachweisbar. Deutliche und statistisch signifikante Überschreitungen hinsichtlich der Sterblichkeit konnten auch für eine Reihe von bei Mitgliedern der Techniker ausreichend stark vertretenen Berufen nachgewiesen werden. Überwiegend handelt es sich dabei um offensichtlich physisch belastende Berufe (beispielsweise Dachdecker, Berufe in der Schweiß- und Verbindungstechnik). Eine erhöhte Sterblichkeit war jedoch auch bei Beschäftigten aus dem Bereich Objekt-, Werte- und Personenschutz sowie bei Beschäftigten im Dialogmarketing, also für Beschäftigte in Callcentern, nachweisbar. Die letztgenannte Gruppe war schon häufiger bei Auswertungen zum Gesundheitsreport und dann vorrangig im Zusammenhang mit Fehlzeiten unter einer Diagnose von psychischen Störungen aufgefallen.“ ↗tk.de (Seite 10, Todesfälle)

Pflege als Industrie?

03.07.2018/EG aus dem AWblog der Bundesarbeitskammer, Wien

Claudia Fida, diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin, über eine an menschlichen Bedürfnissen vorbeigetaktete Arbeitswelt in Österreich

„Der Arbeitsprozess wird in möglichst kleine Teileinheiten und die Aufgaben werden nach funktionellen Gesichtspunkten zerlegt. Genau diese Arbeitsteiligkeit ist das zentrale Problem der Funktionspflege. Kommunikation mit den PatientInnen wird als Einzel-Arbeitselement betrachtet. Bei der arbeitsteiligen Pflege kann eine Beziehung zum Pflegebedürftigen kaum entstehen. Der ganzheitliche Charakter der Pflegearbeit wird bei der Funktionspflege zerstört. Beziehungsaufnahme und Zugewandtheit mit bzw. zu Pflegebedürftigen findet meist über körperbezogene Handlungen statt. Das hierarchisch-zentralistische Modell der traditionellen Funktionspflege wird zunehmend abgelöst durch moderne Bezugspflegesysteme. (…)

Die Sinnfrage stellen

Wenn wir dem, was wir tun, keinen inneren Sinn geben, dann wird es funktional. Und wenn es funktional wird, dann wird es mechanisch (Paul J. Kohtes). Das aber ist tödlich für eine Form der Arbeit, in der es um Kreativität und um Beziehungen geht.

Die Theorie des Taylorismus „Führung durch Motivation mit Akkordlohn“ wurde abgelöst und man weiß heute, dass Arbeitszufriedenheit durch Selbstverwirklichung und Autonomie gesteigert wird. Ein Handlungsspielraum am Arbeitsplatz muss es den Pflegenden ermöglichen, Planung, Kreativität, Entscheidungsspielraum und Selbstkontrolle einzubringen und zu entwickeln und dabei den Ganzheitscharakter der Aufgabe zu wahren.“ awblog.at

Die Bundesarbeitskammer ist die gesetzliche Interessenvertretung der Arbeitnehmer in Österreich.

Pflege: Politik zwischen Bedarf und Sozialhilfe

21.06.2018/EG aus dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW), Köln

IW-Report: Anzahl der Pflegebedürftigen, die auf Hilfe zur Pflege angewiesen sind, steigt immer weiter

„Da die Pflegeversicherung nur als Teilleistungsversicherung ausgestaltet ist und nicht alle Pflegekosten übernimmt, können die zusätzlich aufzubringenden Pflegekosten erheblich sein. So müssen beispielsweise im bundesweiten Durchschnitt für die vollstationäre Pflege gut 580 Euro für die Pflege und rund 700 Euro für die Kosten für Unterkunft und Verpflegung zusätzlich zur Leistung der Pflegepflichtversicherung finanziert werden – insgesamt also gut 1.280 Euro pro Monat (Rothgang et al., 2017). Auch bei der häuslichen Pflege fallen zusätzliche Kosten an, wenn auch in geringerem Umfang. Rothgang et al. (2017, 160) schätzen diese Kosten für die häusliche Pflege je nach Pflegestufe (heute Pflegegrad) auf 169 Euro pro Monat bis 540 Euro pro Monat. (…)

Problematisch ist allerdings die Strategie, die Ausgaben für die Hilfe zur Pflege möglichst gering zu halten, indem die Preise für die Anbieter professioneller Pflegeleistungen – ambulante Pflegedienste und Pflegeheime – eng reguliert werden. Denn die Pflegesätze – die Preise für Pflegeleistungen – werden im Rahmen von Verhandlungen zwischen den einzelnen Anbietern, den zuständigen Trägern* der Sozialhilfe und den Pflegekassen geführt. Bremsen hier jedoch die Träger* der Sozialhilfe und sind die Preisvorstellungen zu rigide, drohen quantitative und qualitative Defizite in der professionellen Pflege (hierzu auch Rothgang et al., 2005) – und das für alle Pflegebedürftigen.“ iwkoeln.de

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln ist ein arbeitgebernahes Wirtschaftsforschungsinstitut.

*Träger der Sozialhilfe sind staatliche Einrichtungen (Verwaltungsbehörden der Bundesländer, Bezirke, Landkreise, kreisfreie Städte)

Zum Thema

Eine umfassende Quelle bietet der Sozialwissenschaftler Stefan Sell unter aktuelle-sozialpolitik.de an.

NO2-Belastung 2017: Ungesunde Atemluft in 65 Städten

03.06.2018/EG aus dem Umweltbundesamt, Dessau

65 Städte über dem NO2-Grenzwert von 40 µg/m³ / ‘Tabellenführer‘ ist München

Bei der vorläufigen Auswertung im Februar 2018 waren es noch 66 Städte. Im Jahr 2016 hatten noch 90 Städte den Grenzwert überschritten. Die höchsten Belastungen 2017 wurden in München mit 78 µg/m³ im Jahresmittel, gefolgt von Stuttgart mit 73 µg/m³ und Köln mit 62 µg/m³ gemessen.
72,5 Prozent der im Stadtverkehr gemessenen NO2-Belastung verursachen Diesel-PKW. Dahinter folgen leichte Nutzfahrzeuge (11 Prozent), schwere Nutzfahrzeuge (8 Prozent), Busse (4 Prozent), übrige PKW (3 Prozent) und sonstige Fahrzeuge (1,5 Prozent). umweltbundesamt.de

Zum Thema

Schneller Anstieg von Stickoxiden kann Herzinfarktrisiko verdoppeln. aerzteblatt.de

Bundesregierung vernachlässigt Schutz der Einwohner: Europäische Kommission verklagt Deutschland wegen Luftverschmutzung. Deutschland lässt geeignete Maßnahmen zur Bekämpfung der Luftverschmutzung sowie „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionssysteme“ vermissen. ec.europa.eu

Das Artensterben geht weiter – ungebremst

23.05.2018/EG aus dem Deutschen Bundestag, Berlin

Bundesregierung konnte anhaltenden Verlust der biologischen Vielfalt bisher nicht stoppen – Zieldatum 2010 wurde bereits auf 2020 verschoben

„Der zentrale Indikator ‘Artenvielfalt und Landschaftsqualität‘ zeigt trotz intensiver Bemühungen einen Wert noch weit vom Zielbereich entfernt. Nur der Teilindikator für die Wälder zeigt einen Wert in der Nähe des Zielbereiches. Der statistische Trend für den Gesamtindikator geht weg vom Ziel. Der anhaltende Verlust der biologischen Vielfalt in Deutschland konnte noch nicht gestoppt werden.“ bundestag.de

Zum Thema

„Das Gericht der EU stellt die Gültigkeit der Beschränkungen fest, die 2013 auf EU-Ebene für die Insektizide Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid wegen der von diesen ausgehenden Gefahren für Bienen eingeführt worden sind. Dagegen gibt es der Klage von BASF weitgehend statt und erklärt die Maßnahmen zur Beschränkung der Verwendung des Pestizids Fipronil für nichtig, da sie ohne vorherige Folgenabschätzung ergangen waren.“ curia.europa.eu

Bundesregierung schützt Einwohner zu wenig: Europäische Kommission verklagt Deutschland wegen Luftverschmutzung ec.europa.eu

Im Jahr 2016 verklagte die Europäische Kommission Deutschland wegen Gewässerverschmutzung
Nach einem aktuellen Bericht der Europäischen Kommission wurde in 28 Prozent der Grundwasser-Messstationen in Deutschland der durchschnittliche Höchstwert von 50 Milligramm Nitrat pro Liter Wasser überschritten. ↗europa.eu