24.09.2016/EG aus dem Deutschen Bundestag, Berlin
Cum/Ex-Untersuchungsausschuss: Interessen des Bankenverbandes hatte Einfluss auf Ministeriumsentscheidungen / Experte für Investmentrecht arbeitete für BaFin und Bankenverband
Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat sich nach den Worten eines ehemaligen Referatsleiters bei der Aufklärung der Cum/Ex-Geschäfte auch auf den Bankenverband verlassen. Erschwert worden sei dies auch durch eine permanente Personalknappheit, sagte der ehemalige Steuerreferatsleiter im BMF, Michael Gierlich, gestern vor dem 4. Untersuchungsausschuss (Cum/Ex). Zusammen mit Gierlich waren zwei weitere ehemalige Ministeriumsbeamte sowie eine Referatsleiterin aus der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zur 20. Sitzung des Ausschusses geladen.
Gierlich, 69, war von 2001 bis zu seiner Pensionierung Referatsleiter in der Steuerabteilung des Ministeriums. Mit dem Thema der steuerbetrügerischen Cum/Ex-Aktiengeschäfte um den Dividendenstichtag herum sei er erstmals 2002 mit dem Schreiben des Bankenverbandes konfrontiert worden, in dem die Banken das Problem schilderten und einen Vorschlag für dessen Lösung unterbreiteten. Gierlich sagte auf eine Frage des Ausschussvorsitzenden Hans-Ulrich Krüger (SPD), das Schreiben habe damals kaum jemand verstanden, deshalb habe man sich das vom Verband ausführlich, auch mit Hilfe einer Präsentation, erklären lassen. Diese sei dann später auch den Ländern zugeleitet worden, ohne auf die Urheberschaft des Bankenverbandes zu verweisen. Aus Sicht der CDU-Abgeordneten Sabine Sütterlin-Waack ist das Ministerium damit unnötigerweise der Rechtsauffassung der Banken gefolgt.
Weiter erklärte Gierlich, das Thema Cum/Ex sei damals als „nicht ganz so eilig“ betrachtet worden, da noch andere wichtige Aufgaben zu erledigen gewesen seien. Man sei davon ausgegangen, dass die Sache bei nächster Gelegenheit repariert werden würde. Dies sei dann das nächste Bereinigungsgesetz, also das Jahressteuergesetz 2007, gewesen. 2009 habe sein Referat dann konkrete Hinweise auf Steuergestaltungen mit Hilfe von Cum/Ex-Geschäften erhalten und sofort den Minister informiert. Daraufhin sei eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einberufen worden und eine völlige Systemumstellung in Angriff genommen worden.
Der Ausschuss befragte Gierlich auch ausführlich zu seinem Mitarbeiter Arnold Ramackers, der zwischen 2004 und 2008 sowie 2010 nach seiner Pensionierung noch einmal für drei Monate im Referat IV C1 tätig war. Ramackers, Richter am Finanzgericht a. D., hatte auf der vorherigen Ausschusssitzung für Erstaunen gesorgt, weil er sich von 2008 bis 2009 für ein Jahr beurlauben ließ und in dieser Zeit selbständig bis zu seiner Pensionierung für den Bankenverband und gleichzeitig auch für das Ministerium arbeitete. Bezahlt wurde er aber nach eigenen Angaben von der Kreditwirtschaft. Nach 2010 beriet er weiterhin Bankenverband und Ministerium, aber ohne Honorar, sondern als „fachlich interessierter Staatsbürger“, wie Ramackers es ausgedrückt hatte.
Gierlich schilderte, wie er Ramackers 2004 zufällig kennengelernt habe und ihn, da er dringend gute Mitarbeiter gesucht habe, angeworben habe. Ramackers sei auf dem Gebiet des Investmentsteuerrechts eine „absolute Spitzenkraft“ gewesen. Dieses Feld sei sozusagen Ramackers Hobby gewesen, weshalb er auch später bei Bedarf eingeschaltet worden sei. Dies habe dem ehemaligen Richter Spaß gemacht und sei von diesem nicht als Arbeit aufgefasst worden. Ramackers habe ihm, Gierlich, mitgeteilt, dass er auch für Verbände Investmentsteuer-Gutachten schreibe und dafür bezahlt werde. Das sei zwar legal gewesen, sagte Gierlich, aber er habe das sehr kritisch gesehen. Überrascht zeigte sich Gierlich von der Tatsache, dass Ramackers 2011 ein Ministeriumsschreiben an den Bankenverband weiterleitete. Das habe er nicht gewusst und auch nicht für möglich gehalten. Einen Hinweis in einer Whistleblower-Mail, wonach im Gierlich-Referat ein Mitarbeiter sitze, der gute Kontakte zu den Initiatoren der Cum/Ex-Geschäfte habe, könne er sich nicht erklären, sagte Gierlich auf eine Frage der Abgeordneten Sütterlin-Waack. Er hege keinen Verdacht gegen Ramackers.
Wenig beitragen zur Aufkärung konnte der ehemalige Präsident der dem BMF unterstehenden Bundesfinanzakademie, Karl Wilhelm Christmann, der von 2004 bis 2006 die Unterabteilung IV C im Ministerium geleitet hatte. Er könne sich nicht erinnern, dass Cum/Ex damals ein brennendes Thema gewesen wäre und habe an Sitzungen, auf denen dieses eine Rolle spielte, nicht teilgenommen. Der Schwerpunkt seiner Arbeit habe in anderen Bereichen gelegen. Er gab jedoch zu Protokoll, dass die Personaldecke damals sehr knapp gewesen und die Steuerunterabteilung manchmal „sehr unterbesetzt“ gewesen sei. Ramackers kenne er, wisse aber nur, dass dieser „ein subtiler Kenner des Investmentsteuerrechts“ sei.
Florian Scheurle, von März 2005 bis November 2009 Leiter der Steuerabteilung im BMF und seit 2010 Präsident des Bundesamtes für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) sowie des Bundesausgleichsamtes (BAA), sagte aus, dass er vermutlich über die Vorbereitung des Jahressteuergesetzes 2007 mit dem Thema Cum/Ex in Kontakt gekommen sei. An Einzelheiten und auch an Hinweise auf ein Cum/Ex-Geschäftsmodell im Jahr 2009 könne er sich jedoch nicht erinnern. Er habe sich in dieser Zeit auch um viele andere steuerrechtliche Dinge kümmern müssen.
Den Vorwurf des Grünen-Abgeordneten Gerhard Schick, dass in Scheurles Verantwortung „ein heftiger Milliardenschaden“ entstanden sei, wies dieser zurück. Ihm sei nicht bekannt, so Scheurle, dass durch Fehler in der Steuerabteilung ein Schaden in dieser Höhe entstanden wäre. Im Falle der Lücke im Jahressteuergesetz 2007 habe sich das zuständige Referat zusammen mit den Ländern darum gekümmert, diese zu schließen. Auf eine Frage Schicks zu Regeln für den Informationsaustausch mit Banken und deren Verbänden sagte Scheurle, solche gebe es nicht, sondern man müsse sich auf die Kollegen verlassen, Interna nicht preiszugeben. Der Austausch mit den Verbänden an sich gehöre aber zum alltäglichen Geschäft der Steuerabteilung im BMF.
BaFin-Referatsleiterin Ruth Burkert erläuterte anschließend die Arbeitsweise der Behörde. Zu Forderungen nach mehr Kompetenz in Steuerfragen bei der BaFin sagte die Großbankenaufseherin, die Behörde sei auch weiterhin nicht für Steuern zuständig und habe auch nicht das Know-how dafür. Es gebe aber inzwischen einen verbesserten Austausch zwischen BaFin und den Steuerbehörden.
Burkert berichtete, wie ein Kollege auf einer Referatsleitersitzung im September 2012 von einer internen Untersuchung in einer Bank wegen des Verdachts auf Cum/Ex-Geschäfte berichtete. Die Referatsleiter sahen daraufhin Handlungsbedarf, auch bei anderen Banken diesbezüglich informell nachzufragen, um sie für das Thema zu sensibilisieren. Das BMF sei über die internen Ermittlungen in der Bank informiert worden. Die informelle Abfrage sei quasi die Vorstufe der offiziellen Bankenumfrage aus dem Frühjahr 2016 gewesen. Zu deren Ergebnissen und Detailfragen stand Burkert den Ausschussmitgliedern im Anschluss in geheimer Sitzung Rede und Antwort.